Teil 4 - Konni bei Paula in Potsdam
Geschichten von Ania Angsthase und ihren Freund*innen

Mit diesen Geschichten möchten wir mehr Verständnis für die „Innenansicht“ verschiedener Leidensbilder geben und Lösungen aufzeigen.
Gleichzeitig hilft das Element Humor: Wir lachen nicht ÜBER Ania & ihre Freund*innen, sondern MIT ihnen über ihre kleineren und größeren Schwächen. Ein erster wichtiger Schritt in Richtung Lösung.
Konni bei Paula in Potsdam
Konni hat einen Blumenstrauß dabei und ein Sixpack Pils. Und Chips.
Sie ist bei Paula eingeladen.
Die beiden hatten sich nach Jahren zufällig getroffen, hatten ein kurzes nettes Wiedersehen, zu wenig Zeit zum Quatschen, aber das feste Vorhaben, sich wieder zu sehen.
Gesagt getan.
Konni ist aus Berlin nach Potsdam gefahren. Sie mag die Stadt.
‚Wollen wir ins Café Heider gehen? Oder ins Holländische Viertel?‘ hatte sie ortskundig gefragt.
Paula aber hat sie zu sich eingeladen, nach Hause.
‚Ok., gerne, ich komme.‘
Am Klingelschild steht wirklich
P. Putzteufel.
Konni schmunzelt. Was für ein Familienname! Wenn sie so heißen würde, würde sie sich sofort umbenennen.
Obwohl, sie selber hat auch noch ihren ungeliebten Mädchennamen.
‚Sollte ich mal heiraten, kommt der Name sofort auf den Müllberg der Geschichte‘, schwört sie sich. Gleichzeitig weiß sie, dass das mit der Hochzeit noch dauert, bis dahin müsste sie 12 Kilo abnehmen.
‚So what. Heute gibt es Pils & Chips, wir machen uns einen schönen Abend.‘
Dingdong.
Paula öffnet sehr schnell.
Hat sie schon hinter der Tür gestanden?
Bin ich zu spät?
Ach was, alles in Ordnung.
Paula ist schön, freundlich, manchmal richtig herzlich.
‚Ziehst Du bitte die Schuhe aus, Konni? Wir haben einen neuen Teppich.‘
‚Ja, klar.‘
Dieses Schuhe-auszieh-Thema findet Konni meist ein bisschen albern. Egal.
Ihr Kollege Thommy hat auch diese fixe Idee, sofort die Schuhe auszuziehen. Aber gut, der joggt durch verdreckte Wälder.
Konnis Schuhe sind sauber, sie zieht sie brav aus. Stellt sie auf so eine Schuhabstellschale vor der Tür.
‚Solange mir keiner meine 360,- Euro-Schuhe klaut, soll mir das egal sein‘, sagt sie sich und schlüpft in den Flur.
Den Blumenstrauß hatte sie vorsorglich vom Papier befreit. Beim Überreichen fällt ein Blütenblatt herunter. Paula hebt es auf, dann freut sie sich über die Blumen.
Sie gehen ins Wohnzimmer. Flashback für Konni. Wo habe ich diese Wohnung schonmal gesehen?
Dann gehen sie in die Küche. Paula stellt die Blumen in eine Vase, die Blumen bekommen gefiltertes Wasser. Ein Stück Küchenrolle verschluckt die zwei Tropfen, die daneben gegangen sind. Jeder Handgriff sitzt.
Konni überreicht das Pils und die Chips. ‚
‚Danke Konni, wie lieb von Dir. Ich hatte Wein kaltgestellt, aber Bier ist auch gut.‘
Schlagartig ist Paula überfordert. Welche Gläser? Oder aus der Flasche? Chips krümeln so doof. Servietten?
‚Ich habe etwas zu essen vorbereitet, ein bisschen Fingerfood, das ist lecker und macht keinen Dreck.
Nur die Finger, ok., aber die lassen sich ja waschen und danach desinfizieren.‘
Konni wird komisch zumute. Sie weiß nicht so richtig, warum.
Fingerfood ist super. Das ist lecker, macht nicht dick und passt zu Pils und Chips. Was genau war das Problem mit den Chips?
Egal. Sie gehen ins Wohnzimmer.
Woher bloß kenne ich dieses Zimmer?
Wie Krümel, Quatsch, wie Schuppen fällt es ihr von den Augen: letztens im Möbelhaus, da sah es genauso aus. Genauso perfekt, genauso sauber.
Konni kombiniert.
Paula beginnt zu erzählen. Wird noch freundlicher, das Bier lockert die Zunge.
Etwas steif bleibt sie trotzdem.
Was ist bloß los mit Paula?
‚Ach, alles gut, ich hatte nur heute echt viel zu tun: habe gewaschen und sortiert und dann noch mehrere Kilo Waschmittel nach Hause geschleppt und die Fenster wollte ich auch noch schnell geputzt haben, bevor Du kommst.‘
Paula hört gar nicht mehr auf. Erzählt schnell, was sie heute gemacht hat. Wenn das Tempo annähernd so war wie ihr Bericht jetzt, dann muss sie total kaputt sein.
‚Total lieb von Dir, Paula, dass Du Fingerfood für uns gemacht hast, alles wirklich lecker. Die Fenster hättest Du wegen mir aber nicht unbedingt putzen müssen.‘
Konni formuliert es vorsichtig. Sie hat verstanden: Paula hat Zwänge. Waschen. Putzen. Perfekt sein. Vielleicht auch mehr.
Paula ist jetzt beschwipst genug, dass Konni mit ihr darüber reden kann.
‚Paula, mit Zwängen kenne ich mich nicht aus, aber ich empfehle meinen Freunden, die etwas plagt, immer Meditation und Hypnotherapie.‘
‚Das hilft nicht, habe mich schon umfassend darüber informiert. Meine Mutter und ihre Zwillingsschwester, meine Tante, haben das auch. Sie waren mehrere Wochen stationär in Behandlung, das brachte kleinere Verbesserungen. Nicht total, aber doch so, dass sie nicht mehr bis zur Erschöpfung schuften und putzen und desinfizieren. Ich würde so einen Aufenthalt auch gerne auch probieren, aber ich habe keine Zeit, stundenlang diese ganzen Anträge auszufüllen.‘
‚Wenn ich Dich richtig verstehe, geht es darum, Dir ein paar Freiräume zu schaffen, die es Dir dann ermöglichen, den Klinikaufenthalt zu beantragen? Dich so zu stabilisieren, dass Du einen Anfang machen kannst?‘
‚Konni, Du verstehst mich. Danke. Ich freue mich total, dass wir uns getroffen haben. Jetzt muss ich aber mal schnell ins Bad. Das viele Bier. Und ich habe klebrige Finger.‘
Sie verschwindet. Konni schluckt. Nimmt sich noch Chips und ein Zucchini-Lachs-Röllchen. Dann wirft sie mehrere Chips unter den Tisch. Tritt die Krümel breit.
Paula kommt zurück.
‚Ich danke Dir, Konni, es geht mir schon viel besser. Ich lüfte mal schnell, es riecht hier nach Bier und Chips und Fisch.‘
‚Und nach Desinfektionsmittel‘, kontert Konni.