Teil 6 - Toni & Chris
Geschichten von Ania Angsthase und ihren Freund*innen

Mit diesen Geschichten möchten wir mehr Verständnis für die „Innenansicht“ verschiedener Leidensbilder geben und Lösungen aufzeigen.
Gleichzeitig hilft das Element Humor: Wir lachen nicht ÜBER Ania & ihre Freund*innen, sondern MIT ihnen über ihre kleineren und größeren Schwächen. Ein erster wichtiger Schritt in Richtung Lösung.
Toni & Chris
Toni & Chris sind von Ania angesprochen worden, mitzukommen.
‚Meine Freund*innen sind total nett und werden sich freuen.‘
So ganz sicher ist das nicht.
Als sie sich vor dem Club treffen, stellt Ania alle gegenseitig vor.
Paula lächelt freundlich, aber etwas steif, während sie sich die frisch desinfizierten Hände reibt.
Konni kaut noch an ihrem Körnereck aus dem Bioladen, ein richtiges Abendessen wollte sie heute lieber nicht. Sie wird bestimmt etwas trinken und das sind dann genug Kalorien.
Thommy ist abwesend und schaut in Richtung Tür und Türsteher.
Lässt der Typ uns rein und will ich da überhaupt rein? Immerhin habe ich diesen fiesen Ton im Ohr, für den das bestimmt nicht so gut ist. Wenn der Türsteher uns nicht reinlässt, gehen wir in eine schöne gemütliche Weinstube, trinken etwas, quatschen und mal sehen wie der Arbeit dann weiter geht.
Er möchte den Abend schon gern mit Konni und Ania verbringen,
aber um die laute Musik im Club reißt er sich nicht. Und jetzt noch Toni & Chris.
Hmm.
Wer oder was sind sie eigentlich? So ganz sicher ist das nicht.
Mirko spricht aus, was alle sich fragen:
‚Sagt mal, Toni & Chris, seid Ihr Frauen oder Männer und seid Ihr ein Paar?‘
Toni und Chris lächeln sich zu. Sie hatten die Fragen in den Augen der anderen längst bemerkt. Besser, dass Mirko die Frage gleich ausspricht, als das ewig rumvermutet wird.
Toni fast sich schnell und antwortet: ‚Wir sind nicht binär und alles Andere ist doch egal. Stimmts?‘
Uff, das sitzt.
Mirko möchte sich nicht die Blöße geben einzugestehen, dass er gar nichts verstanden hat. Sind das Mädels oder Jungs oder was? Früher gab es schwul und lesbisch und fertig. Wir waren so tolerant, damals auf der Schanze und das Leben war leicht. Warum muss heute und besonders in diesem Berlin immer alles so kompliziert sein? Nicht binär? Mirko fasst es nicht. Auf den Club und die vielen Menschen hat er auch gar keinen Bock. Bevor sie vorne an der Schlange sind, will er verschwinden.
‚Das finde ich total spannend, das ganze Thema LGBTQIA+, darüber würde ich gern mehr erfahren.‘
Thommy ist sich nicht sicher, ob er richtig gehört hat! Daraus, dass Toni & Chris entspannt und freundlich reagiert haben, schließt er, dass Paula diesen Zungenbrecher fehlerfrei ausgesprochen hat. Sogar das Plus für weitere sexuelle Orientierungen hat sie nicht vergessen.
Paula ist einfach perfekt.
‚Irgendwann gerne, aber erstmal gehen wir feiern.‘ sagt Chris charmant.
Als sie dann endlich dem Türsteher ins Auge blicken, ist klar, dass das Feiern hier heute nichts wird. Die meisten von ihnen tragen clubkompatibles Schwarz. Konni dagegen sieht aus wie eine Touristin: viel zu hell, zu bunt und außerdem bioverkrümelt von diesem Körnereck. Thommy trägt seine hellblauen Funktionsklamotten. Auf dem Fahrrad sieht er damit chic aus, hier passt es (dem Türsteher) eher nicht.
Super, denkt Thommy, den Trick merke ich mir. Auf in die Weinstube.
Dort finden sie eine Couch und mehrere Sessel um einen großen niedrigen Tisch. Angenehme Musik, schöne Getränke, alles sehr chillig.
Nach Gesprächen über Dies und Das kommt Paula noch einmal mit ihrem Wissensdurst um die Ecke. Jetzt wirkt es eher altklug. Sie habe gelesen, dass ... und es ist ja schon schlimm, wenn ... undsoweiterundsofort.
Ania unterbricht sie vorsorglich und bittet Toni & Chris, wenn schon das Thema LGBetc., dann sollen sie doch ihre eigene Geschichte erzählen, bitte.
Toni sagt, das sei nichts, wofür ein Abend reiche und Chris deutet nur ganz vorsichtig an, wie viele kinderpsychologische Beratungsstunden, Atteste, Krankschreibungen bla bla bis zum heutigen Tag nötig waren. Dabei bin ich total gesund. Toni auch. Nur eben ein bisschen anders.
Mirko merkt, dass er nach Hause muss. Das alles überfordert ihn total. Er schwitzt. Als ob binäre Menschen nicht schon schwierig genug wären.
Thommy hat beim Wein endlich mal für zwei Stunden den Ton vergessen. Er saß zwischen Konni und Ania, er kann sich nicht entscheiden, welche von beiden er besser findet. Will er auch gar nicht.
Konni würde gerne nochmal beim Späti vorbei. Einen Schokoriegel holen. Oder doch lieber zum Dönerimbiss und etwas Richtiges? Halloumi ohne Zwiebeln, das würde jetzt guttun. Gefastet wird dann morgen. Paula begleitet sie. Zwar findet sie den Geruch in diesen Imbissen ganz scheußlich und genau hinschauen darf sie bei der Zubereitung auch nicht, aber für ihre Freundin tut sie das. Ein Absacker wäre nicht schlecht, falls es den hier im Imbiss gibt. Sonst gehen wir dann doch nochmal schnell zum Späti.
Thommy, Ania, Toni & Chris gehen in Richtung U-Bahn, die hier Hochbahn ist.
Ania ist froh, dass die Drei dabei sind, denn um diese Stunde laufen hier immer noch eine Menge Hunde rum.
An der nächsten Straße verabschieden sich Toni & Chris. Sie wohnen hier um die Ecke.
Gute Nacht, Tschüss, Küsschen.
‚Sag mal, denkt Du, die beiden wohnen zusammen? So als Paar und so?‘
Schulterzucken.
‚Dir ist das egal, stimmt‘s?‘
‚Stimmt, mir ist das egal.‘
Sie stoßen auf Konni und Paula. Konni hat den angeknabberten Halloumi in der Hand, Petra einen Pappbecher. Von rechts aus dem Park kommt Mirko. Er brauchte eine Pause.
‚Kinder, lasst uns heimfahren. Das war ein
aufregender Abend. Schlafen ist die beste Medizin.‘